Vielleicht so etwas wie ein „Parergon“ zu meiner Mädchen-Oper
Zwei Klangquellen – unter ambivalenten Aspekten zugleich homogen und heterogen, nicht so ohne weiteres zusammenpassend: – Posaune und Flöte/Bassflöte – (mit Resonanzen aus zwei Konzertflügeln), 8 Männerstimmen – alle erzeugen Töne, und Luft, Zweiklänge, Vibrationen, Schwebungen, Rattern, Konsonanzen. Und rattern und sprechen – und japsen, Orchester mit 4 Oboen, 3 Flöten, 3 Klarinetten, zwei Kontrafagotten (unterbeschäftigt), 4 Hörner, drei Trompeten, keinen Posaunen, 2 Tuben, die in der Tiefe rappeln, zwei Klavieren, Gitarre-Harfe, Streicher („Perforateure“), 3 Schlagzeuger, rappeln (Fellwirbel), – und schwingen China-Becken durch die Luft, dämpfen aus und vorzeitig ab („japsen“) und: halten aus.
Musik zum Aushalten, ist nicht zum Aushalten.
Ein Orchester mit vielen Unisono-Quellen
Es ist immer wieder auf andere Weise – jedes Mal das gleiche:
Musik, nicht als Text, nicht als diskursiver Verlauf, gar als klingendes Drama, – eher eine Art künstliches und als Produkt einer komplexen Spekulation zugleich transzendentes Natur-Schauspiel, als „reine“ Präsenz – (Das sind allerdings Wort-Hülsen, die schlecht an das erinnern, was sie nicht mehr zu nennen, zu fassen wagen bzw. imstande sind. Begriffe, die es abzurufen und zugleich im Blick auf die Sache selbst auszustreichen gilt.):
Sie zu beschwören, ohne dabei in schlecht besinnliche „meditative“ Idyllen, bzw. idyllische Standards zu verfallen, gehört zu meinen zentralen Utopien –
Ihre Wünschbarkeit/Stringenz/existentielle Notwendigkeit, „Wahrheit“ ist hienieden nicht zu trennen von ihrer Unmöglichkeit, wegen der Standardisiertheit aller Mittel, auf der ihre Verwirklichung, ihre Anpeilung, ihre Ins-Werk-Setzung verwiesen ist.
Aber: alles soll/wird in dieser wie auch immer vermittelten Präsenz berührt, erlöst, befreit sein.
Kann man Erfahrungen, deren Unmöglichkeit, deren Verschüttetheit man sich bewusst macht, vermitteln durch den Kampf gegen diese Unmöglichkeiten, Verschüttetheiten (= Unfreiheiten)???
Wer bin ich? Was ist das: das ich, das solche Suche, solches Abenteuer, solchen Kampf gegen die Materie auf sich nimmt??
Das „Ich ist kein Ding, sondern ein Ort“ (Kitaro Nishida – aber ich bin kein Buddhist, und auch kein Zen-Mönch, sondern ein Anfänger in allem, auch im Komponieren des jeweilig konzipierten Stücks.)
Das Wasser wäscht das Wasser nicht – das Feuer verbrennt das Feuer nicht – der Schmerz selbst tut nicht weh. Der Genuss genießt nicht. Das Hören hört nicht, das Leben lebt nicht – und so lebt es. Das Ich ist nicht das ich. Musik ist nicht Musik, ist Nicht-Musik: die einzige Musik, die den Namen in seiner emphatischen Bedeutung verdient. Musik sei Nicht Musik?? Sondern?? Ja – sondern. Komponieren heißt: sondern.
Utopien kompositorisch zu beschwören, bedeutete für meinen Mechanismus stets: ihre Verschüttetheit. Und das was – nicht zufällig – sie verschüttet hat. Oder zu verschütten droht, in den Griff zu nehmen.
Helmut Lachenmann (Skizze)
Mitten in meiner Oper Das Mädchen mit den Schwefelhölzern – nach Hans Christian Andersen –, die im winterlichen eiskalten Kopenhagen spielt, gibt es einen Sprung in die mediterrane Vulkanlandschaft Süditaliens, wo – nach einem Text von Leonardo Da Vinci – „die Schwefelfeuer den großen Berg öffnen, um Steine und Erde samt den heraustretenden und herausgespieenen Flammen durch die Luft zu schleudern“, und im Ausbruch „jedes Hindernis verjagen, das sich ihrem ungestümen Wüten entgegenstellt“.
Leonardo sieht in diesem Naturvorgang eine Metapher für die Unruhe des menschlichen Herzens bei der Suche nach Erkenntnis. Er beschreibt eine Wanderung durch die schattigen Klippen hindurch bis vor den Eingang einer großen Höhle, vor welcher der Erzählende „im Gefühl der Unwissenheit“ eine Zeitlang verharrt: „Ich hockte mit gekrümmtem Rücken, die müde Hand auf
- ISMN: 9790004211830 (M004211830)